Wenn uns die Corona-Pandemie eines gelehrt hat, dann wohl: Unverhofft kommt oft. Diesem Credo folgend ist mit der Inflation ein Schreckgespenst in erstaunlicher Größe zurückgekehrt. Die für den Monat April veröffentlichten Teuerungsraten in Europa und in den USA lassen Verbraucher und Anleger gleichermaßen aufhorchen. Auch an den Kapitalmärkten wächst die Furcht, dass die Notenbanken die geldpolitischen Zügel anziehen. Grund genug zu hinterfragen, woher die Teuerung eigentlich kommt?

Die Inflationsraten haben in Europa und den USA die Tiefstände vom letzten Jahr deutlich hinter sich gelassen. Die jüngst veröffentlichten Daten für April zeigen einen spürbaren Anstieg.

Während in der Eurozone die Inflation auf 1,6 % im Vergleich zum Vorjahresmonat angesprungen ist, stiegen die Verbraucherpreise in den USA sogar um 4,2 %. Letzteres entspricht dem höchsten Anstieg der Preise seit September 2008 – also dem Höhepunkt der Finanzkrise. Die Inflation ist zurück und präsentiert sich deutlich stärker als die Konsensus-Prognosen erwarten ließen.

Grafik 1: Inflation Eurozone und USA seit Jänner 2008 (in %)

Im Einklang mit den Inflationszahlen steigen auch die Bedenken der Marktteilnehmer. Sie fürchten, die Inflationsdaten könnten die Notenbanker verleiten, den Pfad der ultralockeren Geldpolitik frühzeitig zu verlassen. Doch noch sind sowohl EZB als auch Fed damit beschäftigt zu bekräftigen, dass auf den aktuellen Niveaus geldpolitisch nicht eingegriffen wird. Die Notenbanken gehen davon aus, dass die jüngsten Preisanstiege nur vorübergehender Natur sind.

Vorsicht mit voreiligen Schlüssen

Davon zu sprechen, dass die Preise auf breiter Front gestiegen sind, wäre zu kurz gegriffen. Denn es gibt Basis- und Sondereffekte aus der Corona-Pandemie, die zu einer Verzerrung führen.

Basiseffekte zeigen sich aufgrund der Methodik zur Inflationsberechnung. Die Inflation wird berechnet indem das aktuelle Preisniveau mit jenem desselben Monats im Vorjahr verglichen wird. Die Inflation für April 2021 entsteht in Relation zu Preisen aus April 2020 – jener Zeit der ersten Lockdowns. Betrachtet man beispielsweise die Rohstoffpreise zeigt sich der Basiseffekt deutlich. Sie waren während der Krise einem Preisverfall ausgesetzt.

Zum Jahresanfang 2020 lag die US-Rohölsorte WTI bei rund USD 60 je Barrel. Im Verlauf der Krise fiel der Kurs im April 2020 auf unter USD 20 und hat sich in den darauffolgenden 12 Monaten wieder auf rund USD 65 erholt. Allein dieser Kursanstieg entspricht einer prozentualen Verteuerung um 225 %. Im historischen Vergleich erreicht der Rohölpreis dabei noch nicht einmal die Höchststände.

Grafik 2: Entwicklung US-Rohölpreise WTI

Vergleichbare Entwicklungen zeigen sich bei Flugtickets und Hotelübernachtungen. Diese haben sich im April in den USA um 10 % verteuert. Die Preise liegen allerdings auch hier noch unter den Vorkrisenniveaus.

Neben Basiseffekten zeichnen sich auch Sondereffekte ab. Diese spiegeln eine Verteuerung basierend auf den Engpässen bei Vorprodukten wider, weil globale Wertschöpfungsketten nicht vollständig wiederhergestellt sind. Dies ist aktuell beispielsweise in der Chip-Industrie zu beobachten und greift von dort auf andere Wirtschaftszweige, wie dem Automobilsektor, über. Einschnitte in den Produktionen – selbst vorübergehende – führen zu einer Verknappung des Angebots und damit unweigerlich zu steigenden Preisen.

Im Verbraucherverhalten sind auch gewisse Sonder– und Nachholeffekte feststellbar. Besonders in den USA wurde der Konsum durch die Direktschecks der Regierung angeheizt. Die daraus resultierende steigende Nachfrage trifft auf ein krisenbedingt geringeres Angebot, was die Preise anziehen lässt und einem Angebotsschock gleichkommt.

Die Basis- und Sondereffekte wirken wie kurzzeitige Preiserhöhungen, müssen aber nicht zwangsläufig eine bleibende Geldentwertung darstellen. Fest steht jedoch, dass die Notenbanken die Märkte in der Krise mit Geld geflutet und dadurch die Vermögenspreisinflation bei Aktien, Immobilien und Kunst weiter angetrieben haben.

Die Spur des Geldes

Die gigantischen, billionenschweren Hilfspakete und die Ausweitung der Staatsschulden sind bezeichnend für die Fiskalpolitik im vergangenen Jahr. Damit die Hilfspakete in der Krise nicht zur Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen für Unternehmen führten, haben die Notenbanken mit Zinssenkungen und Anleihenkaufprogrammen eingegriffen. Im Ergebnis wurden die Zentralbankbilanzen aufgebläht und die Geldmenge ist gestiegen.

In der Theorie bedeutet eine höhere Geldmenge, dass mehr Geld für gleich viele Produkte zur Verfügung steht, wodurch die Preise steigen. Die letzten beiden Jahrzehnte haben aber gezeigt, dass dies nicht immer der Realität entspricht. Zwar ist die Geldmenge stetig gestiegen, gleichzeitig zeichneten sich keine hohen Inflationsraten ab. An diesem Punkt tritt eine weitere Größe in die Rechnung ein: die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.

Grafik 3: Geldmengenwachstum & Umlaufgeschwindigkeit (USA)

Sie gibt an, mit welcher Häufigkeit das Geld innerhalb einer bestimmten Periode eingesetzt wird. Wird beispielsweise ein Euro „mehrfach“ ausgegeben, dann ist gewissermaßen mehr Geld im Umlauf, als wenn der gleiche Euro direkt auf einem Konto geparkt werden würde. In den letzten Monaten hat die Umlaufgeschwindigkeit nochmals deutlich abgenommen. Die in der Pandemie gestiegene Geldmenge wurde durch die spürbar niedrigere Umlaufgeschwindigkeit teilweise „neutralisiert“ und die inflationäre Tendenz hieraus hält sich in Grenzen.

Die geld– und fiskalpolitischen Maßnahmen sind zwar inflationstreibend, doch der Druck von dieser Seite nimmt noch keine besorgniserregenden Niveaus an. Dadurch werden die Notenbanken in ihrer Haltung bestärkt.

Abwarten und Tee trinken bei den Notenbankern

Das Ziel der EZB ist es, die Inflation in der Eurozone „unter, aber nahe 2 %“ zu halten. Dauerhaft niedrige oder sinkende Preise würden dazu führen, dass Investitionen aufgeschoben werden, was die Wirtschaft bremst. Mithilfe geldpolitischer Mittel versucht sie also derart zu intervenieren, dass sich die Inflation um diesen Wert bewegt. Auf die jüngsten Anstiege reagierten sowohl EZB als auch die Fed beschwichtigend. Die EZB-Direktorin Schnabel bekräftigte mit ihrer Aussage vor kurzem die aktuelle Position der EZB: „Unsere geldpolitische Strategie ist mittelfristig ausgerichtet, und das bedeutet, dass wir durch all diese kurzfristigen Schwankungen hindurchschauen.“ Auch die Fed stellte über Vizechef Clarida klar, dass die Inflationsanstiege aus Sicht der Fed nur ein vorübergehendes Phänomen seien und auf den aktuellen Niveaus nicht interveniert werden würde.

Die Notenbanker halten sich (noch) zurück. Ob sich diese Taktik als richtig erweist, wird die Zukunft zeigen. Es besteht zugleich aber das Risiko, dass geldpolitische Straffungen – in Form von Zinserhöhungen oder dem Zurückfahren der Anleihenkaufprogramme – zu spät erfolgen könnten. Denn die Inflation reagiert verzögert auf die wirtschaftlichen Entwicklungen.

Die Inflation von morgen

Die Notenbanker sehen derzeit keine Inflationsgefahr. Jedoch stellt sich die Frage, wie es mittel– und langfristig weitergeht. Um dies einzuschätzen, müssen die Komponenten betrachtet werden, die die Inflation beeinflussen.

Einen Baustein stellt dabei die Preisveränderung von Gütern dar. Die Preismacht der Hersteller hat sich in den letzten Jahren strukturell verringert. Dafür verantwortlich zeichnen primär Globalisierung und Produktivitätsfortschritte, insbesondere durch Automatisierung und Digitalisierung. Güter spielen folglich eine eher untergeordnete Rolle zur Einschätzung der Inflation von morgen. Ähnliches gilt für Nahrungsmittel und Energiepreise, denn sie weisen immer – auch historisch betrachtet – eine hohe Schwankungsbreite auf.

Ein wichtiger Faktor für die Inflationsentwicklung kann hingegen die Preisentwicklung bei Dienstleistungen sein. In diesem Bereich ist das Produktivitätswachstum üblicherweise beschränkt. So kann ein Frisör in einer bestimmten Arbeitszeit nur eine gewisse Anzahl an Kunden bedienen. Besondere technische Fortschritte führen hier zu keiner übermäßig steigenden Produktivität – und das trifft in den meisten Dienstleistungsbereichen zu. Gleichzeitig steigen die Lohnkosten, weil der Sektor andernfalls nicht mit dem herstellenden Gewerbe konkurrieren könnte und Arbeitskräfte fehlen würden. Die Dienstleistung von heute steht in der Zukunft also vor steigenden Lohnkosten. Werden diese an die Kunden weitergegeben, führt das zu Preissteigerungen und damit Inflation.

Da die Arbeitslosenquoten in der Krise zuletzt jedoch gestiegen sind und keine Vollbeschäftigung herrscht, ist die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale aktuell noch nicht gegeben und der Inflationsdruck hält sich hieraus momentan in Grenzen. Eine noch unbekannte Größe stellen zukünftige mögliche Steuererhöhungen dar.

Ein wesentlicher Treiber für die höhere Inflation könnte in Zukunft der demografische Wandel werden. In der Vergangenheit wuchs der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schneller als die Gesamtbevölkerung. Dies bedeutete, dass mehr Arbeitskräfte als Nachfrage vorhanden waren. Damit gingen deflationäre Tendenzen und historisch niedrige Inflationsraten einher.

Grafik 4: Anteil der Erwerbspersonen an Gesamtbevölkerung in Österreich

In diesem Bereich zeichnet sich eine Kehrtwende ab. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter stagniert bzw. sinkt. So beträgt in Österreich der Anteil erwerbsfähiger Personen an der Gesamtbevölkerung aktuell noch mehr als die Hälfte (51,4 %). Die Statistik Austria geht in ihrer Erwerbsprognose 2020 davon aus, dass dieser Anteil bis 2050 auf 47,3 % zurückgehen wird. Vergleichbare Tendenzen zeichnen sich auch global ab.

In Kombination mit dem seit Jahrzehnten schwachen Produktivitätswachstum in Europa und den USA führt die alternde Gesellschaft in der Folge dazu, dass langfristig Inflationsdruck entstehen kann.

Auf den Punkt gebracht

Ein gewisses Maß an Inflation ist für eine gesunde Wirtschaft erforderlich und damit auch gewünscht. Der jüngste Anstieg der Inflationsraten ist mit Vorsicht zu interpretieren, zumal zahlreiche Basis- und Sondereffekte im Zusammenhang mit der Corona-Krise die tatsächliche Aussagekraft der Daten massiv einschränken. In den Vermögenspreisen zeichnen sich schon länger inflationäre Entwicklungen ab.

Die Geldschwemme der Notenbanken im letzten Jahr wirkt in der Theorie zwar inflationstreibend, ob dieses Geld allerdings die Inflationszahlen wirklich nachhaltig anheizen wird, hängt vom Geldmengenwachstum und der Umlaufgeschwindigkeit ab. Die Unterauslastung der Kapazitäten und die hohe Arbeitslosigkeit sprechen allerdings dafür, dass die Inflation auf Sicht noch in Schach gehalten werden kann. Auf diesem Pfad wandeln auch die Notenbanker mit ihrer ultralockeren Geldpolitik. Wie lange die Geldschleusen offen bleiben, wird vom weiteren Wirtschaftsverlauf beeinflusst. Der Beginn einer leichten geldpolitischen Straffung in den USA ist vor diesem Hintergrund in der zweiten Jahreshälfte jedoch nicht auszuschließen.

Längerfristig sehen wir den demografischen Wandel in den westlichen Wirtschaftsregionen als einen potentiellen Inflationstreiber.

Wichtige Hinweise

Die Angaben basieren auf Vergangenheitswerten. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine verlässlichen Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung zu. Bei der Prognose handelt es sich um keinen verlässlichen Indikator für die zukünftige Entwicklung. Quelle Grafik 1: Quelle: FactSet, European Central Bank, Federal Reserve Bank of St. Louis, Stand per 30.04.2021; Quelle Grafik 2: Quelle: FactSet, Stand per 17.05.2021; Quelle Grafik 3: Quelle: FactSet, Federal Reserve, Bank of St. Louis, Stand per 29.04.2021; Quelle Grafik 4: Statistik Austria Erwerbsprognose 2020 

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